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Pfarrer Kalb

Die Predigt

Beeilen Sie sich, wir sind schon etwas spät dran! Pfarrer Kalb predigt gerade von der Kanzel. Setzen Sie sich doch in eine der freien Kirchenbänke und lauschen Sie seinen Worten.


 „Die katholische Kirche erklärt nun aber, dass auch Heilige, also ehemals gewöhnliche Menschen, als Mittler zu Gott angebetet werden können. Haben sie kein Vertrauen in Jesus Christus als einzigen Mittler? Ich sage, sie wenden sich ab von Jesus Christus, setzen ihn gleich mit all ihren anderen Heiligen. Eine Abkehr von Gottes Fügung ist Verrat am Glauben. Die Katholische Kirche begeht Verrat am Christentum!“


Ganz schön harter Tobak, den wir hier von der Kanzel hören, meinen Sie nicht auch? Heute wäre eine solche Predigt in dieser Kirche undenkbar, doch damals Mitte des 19. Jahrhundert waren Sie Alltag, wurden so, oder so ähnlich jeden Sonntag von der Kanzel geschmettert. Es war der vorherrschende Zeitgeist hier in Sachsen, im ur-protestantischen Sachsen, möchte man sagen. Die evangelische Glaubensrichtung war die richtige, die katholische die falsche. Daraus machte auch Kalb keinen Hehl.

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Portrait Pfarrer Kalbs.

Ein katholischer Gottesdienst?

Die Predigten fanden hier auf diesen Bänken Anklang, zumindest auf den Bänken im Kirchenschiff. In der Grafenloge jedoch bewirkten sie etwas für die Zukunft Wechselburgs Entscheidendes.

Graf Alban von Schönburg, eine der prägendsten Figuren hiesiger Geschichte, erklärte, er könne seinem Kammerdiener Franz Illgner, dieser war katholisch, nicht weiterhin zumuten, solche Reden anzuhören. Er gestatte ihm, sich mit seinen katholisch-kirchlichen Behörden ins Einvernehmen zu setzen, um für die Katholiken Wechselburgs und Umgebung einen besonderen katholischen Gottesdienst irgendwie zu ermöglichen.

So viel an ihm liege, werde er gern zu diesem Zwecke aufbieten, was er könne. Seine Schlosskirche stellte er zur Verfügung. Dieser etwas sperrigen Satz, den Alban so oder so ähnlich aufschreiben ließ, begründete also den ersten katholischen Gottesdienst in Wechselburg gut 300 Jahre nach der Reformation.

Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen: Der Ursprung der heutigen katholischen Tradition in Wechselburg liegt in der evangelischen St. Otto Kirche. Eine ganz besondere Art von Ökumene die hier stattgefunden hat.

Pfarrer, Politiker, Helfer

Zurück zu Pfarrer Kalb.

Das scharfe Schwert seiner Worte setzte er nicht nur als Pfarrer von der Kanzel aus ein. Auch in der Politik machte er sich einen Namen. Am 1. Dezember 1849 wird Pfarrer Kalb mit 711 Stimmen zum Landtagsabgeordneten der II. Kammer des sächsischen Landtags gewählt. Der sogenannte Widerstandslandtag wollte nicht mit der Regierung und dem König zusammenarbeiten, sondern verlangte mehr Macht fürs Parlament und weniger für die Monarchie. Die Regierung löste deshalb diesen Landtag bereits am 1. Juni 1850 wieder auf und auch Kalbs Amtszeit fand dadurch nach gerade einmal einem halben Jahr sein Ende.

Kalb war zudem ein sehr sozial engagierter Mensch. Er predigte nicht nur das Evangelium – er lebte es auch. Gemeinsam mit Gräfin Amalie von Schönburg gründete Kalb am 13. Dezember 1843 die erste Sächsisch-Evangelische Diakonissenanstalt zur Ausbildung und Beschäftigung von Armen- und Krankenpflegerinnen unter geistlicher und ärztlicher Anleitung. Das sogenannte Diakonissenhaus befindet sich noch heute direkt gegenüber der Kirche, unmittelbar neben dem Eingang zum Schlosspark.

Mitten in den Wirren des Vormärz also stellt man sich hier in Wechselburg in die Tradition von Theodor Fliedner und verband den Dienst für Gott mit dem Dienst für die Menschen. Noch heute gibt es Diakonissenkrankenhäuser in Leipzig, Chemnitz und Dresden. Das erste jedoch, das stand hier in Wechselburg.

Sie sehen, liebe Zuhörende, die kurze Pause hier in der Kirchenbank hat sich gelohnt. Pfarrer Kalb ist einer der vielen Geistlichen, welche die St. Ottokirche geprägt haben, keiner aber hat wahrlich so viele Gesichter wie dieser Dr. Leonhard Kalb. 

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