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Das Gestühl

Der Ausblick

Nun betrachten wir uns doch einmal das Kirchenschiff der St. Ottokirche von oben.

Nein, leider kann ich Sie heute nicht auf die oberste Empore lassen, von welcher man einen hervorragenden Überblick hat. Aber es wurde eigens für Sie eine besondere Fotografie angefertigt, die Sie ebenfalls hier direkt über die Homepage aufrufen können. Lassen Sie sich Zeit beim Suchen, ich kann warten. Sie können mich auch gern kurz pausieren, ich nehme es Ihnen nicht übel.


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Blick von der Orgelempore aufs Kirchenschiff. Demnächst finden Sie hier eine 360°-Fotografie.


Haben Sie das Bild gefunden, von dem ich sprach? Ich glaube, ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen. Ist der Ausblick nicht herrlich? Und das alles ohne anstrengendes Treppensteigen. Viele Stufen müssen sonst überwunden werden, um auf die oberste Empore zu gelangen. Nutzen wir doch die gesparte Energie und schauen uns virtuell von oben etwas um.

Dicht an dicht

Auffällig ist, dass das Kirchenschiff sehr dicht ausgefüllt ist vom Gestühl für die Gottesdienstbesucher. Etwas provokativ könnte man sagen: Überall wo noch ein bisschen Platz war, baute man damals einen Sitzplatz hin. Unter den nördlichen und südlichen Emporen oder an den äußeren Rändern der mittleren Bänke. Hier wird von oben gesehen besonders deutlich, dass diese Sitzmöglichkeiten wohl auch erst später angebaut wurden. Die Kirchenbänke endeten ursprünglich direkt an den Säulen. Durch die Erweiterung schaffte man auch hier mehr Sitzmöglichkeiten, wenn auch recht unbequeme.

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In St. Otto sitzt man auf den Kirchenbänken recht beengt.


Apropos unbequem: So richtig gemütlich sitzt man ja auf fast keiner Kirchenbank, aber hier in St. Otto sitzt man zudem noch recht beengt, möchte man fast sagen: in keiner Kirche im näheren und weiteren Umland sitzt man so nah beieinander wie hier in Wechselburg. Der Abstand der Kirchenbänke zueinander wurde besonders eng gewählt, auch wiederum, um mehr Sitzplätze zu erschaffen.  Doch warum nur war der Bedarf an Sitzplätzen so hoch und warum verzichtete die hiesige Gemeinde dafür sogar auf einen gewissen Komfort?

Die Antwort auf diese Fragen ist heute kaum noch vorstellbar, damals im 18. Jahrhundert war es aber Realität. Die Kirchen waren sehr gut besucht. St. Otto war Patronatskirche derer von Schönburg. Sie hielten in Wechselburg Hof und besuchten bis zur Konversion sonntäglich den Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Da auch die Amtsgeschäfte derer von Schönburg in dieser Zeit von Wechselburg aus betrieben wurden, siedelten sich auch viele Beamte und Amtsträger in der Nähe des Schlosses an.

Die stadtähnliche Bebauung des Marktes und der Schlossstraße hin zum Friedhof zeugen noch heute davon, dass ein gehobeneres Bürgertum damals in Wechselburg wohnte. Zumindest im oberen Teil des Dorfes, da wo die Grundstücke keine Hanglage hatten und entsprechend teuer waren. Die Grundstücke im mittleren und unteren Teil Wechselburgs waren dann eher dem einfachen Volk vergönnt, da diese eben schräg und nicht ganz so teuer waren. Heute spielt diese Lage natürlich keine Rolle mehr.

Doch zurück zur übervollen Bestuhlung des Kirchenschiffs. Dort wo der Graf zur Kirche geht, dort wollte nun auch der normale und der etwas normalere Bürger auch zur Kirche gehen. Man schmückte sich sozusagen mit den hohen Herrschaften oder wollte einfach mal schauen, wie es Grafs so geht. Die Verbundenheit der Grafenfamilie zur Kirche ist wohl auch Grund für den starken Zulauf bei Gottesdiensten und somit auch Ursache für die enge und volle Bestuhlung des Kirchenschiffs.

Eine ständige Erinnerung

Ein weiteres Zeichen dafür, dass der Gottesdienstbesucher in St. Otto etwas auf sich hielt, sind die Kästchen für die Gebets- und Liederbücher sowie die Schilder in den Kirchenbänken, welche den Stammplatz der damaligen Gottesdienstbesucher markierten. Schauen Sie sich einmal in Ruhe in den Kirchenbänken um, Sie werden schnell merken, wie aufwendig verziert manche dieser Schilder und Kästchen sind. Ja, auch damit konnte man zeigen, wie wohlhabend man war oder dies zumindest vortäuschen.

Manchmal wünschte man sich, der Graf würde noch leben. Zumindest wäre dann womöglich die Kirche sonntags auch wieder etwas voller. Ach, wenn es doch nur so einfach wäre.


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Wer etwas auf sich hielt, markierte seinen Stammplatz.

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