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Emblematik

Der Paradiesvogel

Haben Sie den Paradiesvogel in unserer St. Ottokirche schon gefunden? Wenn nicht: Er befindet sich an der Kanzel und zeigt direkt in die Richtung der ehemaligen Grafenloge gegenüber.

Am besten sehen Sie ihn, wenn Sie sich an den Taufstein stellen. Ich möchte Ihnen beispielhaft dieses eine Emblem deuten, so wie es unsere Vorfahren bereits getan haben.

Das Emblem hat zu Überschrift das lateinische Motto: „LUDENTER“ – Sei ungebunden! oder anders übersetzt, Ich will ungebunden sein. Darunter ist ein himmelwärts fliegender Paradiesvogel zu sehen und unter ihm ein Nest mit leeren Eierschalen in einem Baum.

Die Bildunterschrift lautet:


„Vergiß das alte Schatten/Sünden Wesen,
Da du in Jesu auserlesen.“

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Der Paradiesvogel an der Kanzel.

Der fußlose Vogel

Die Kunde von der Existenz des Paradiesvogels gelangt nach Europa mit der Entdeckung neuer Welten in Amerika und Asien. Seereisende brachten getrocknete Bälger, also ausgestopfte Körper, dieser Vögel mit. Sie besaßen allerdings keine Füße! Die eingeborenen Jäger in Neuguinea hatten den erlegten Tieren die Füße abgetrennt, damit beim Transport aus dem Dschungel die Prachtfedern nicht beschädigt würden.

Das wusste man in Europa aber nicht. Europäische Naturgelehrte publizierten im 16. Jahrhundert Abbildungen und Beschreibungen der Vögel mit Blick auf die Kadaver. Die beobachtete Fußlosigkeit führte zu Schlussfolgerungen über die Lebensart der Vögel, die anschließend Aufnahme in die Sinnproduktion der Emblematik des 16. und 17. Jahrhunderts fanden. Paradiesvögel galten als Wunderwerke Gottes.

An die Existenz von fußlosen Vögeln zu glauben, fiel den Gelehrten leicht, da antike Autoren in ihren Naturlehren bereits von fußlosen Vögeln - Apodes und Dryacha - berichtet hatten.

Ein fußloser Vogel muss ständige in der Luft sein, Abgeschiedenheit vom Irdischen macht demnach sein Wesen aus. Es wird in der weltlichen und religiösen Emblematik verschieden gedeutet: negativ als Flucht vor dem tätigen Leben oder positiv als Streben nach dem Himmlischen.

Eine ständige Erinnerung

Der Schöpfer des Wechselburger Emblems erweitert das Bild des Paradiesvogels um ein Nest im Baum mit leeren Eierschalen. Die Brutstätte befindet sich hoch in der Luft und ist trotzdem dem Boden verhaftet. Wahrscheinlich ist dies ein bildlicher Hinweis auf die hochwohlgeborene Herkunft und Dynastie der Stifter der Wechselburger Kirchenausstattung.

Dem Beispiel des Vogels zu folgen, formuliert die Unterschrift zum Bild in Form eines Imperativs.

Direkt unter dem Pult des Predigers an der Kanzel angebracht, war die gräfliche Familie in ihrer Herrschaftsloge stets mit diesem Emblem konfrontiert, wenn sie die Predigt hörte. Wenn der Prediger seinen Blick vom Buch löste, konnte er seinen Patronatsherren direkt ansehen und dieser ihn.

Königliches Vorbild

Kein Geringerer als Ludwig XIV., der Sonnenkönig, Ideal und Projektionsfigur absoluter und souveränen Herrschaft, hatte sich zuvor bereits in die Tradition der positiven Deutungen des Paradiesvogels gestellt. Sein Hofmaler Charles le Brun ersann zum Lob des Königs Sinnbilder, die als Kupferstiche gedruckt wurden und europaweit Verbreitung fanden. So mögen sie auch nach Sachsen gelangt sein. Auf einem dieser Kupferstiche dient der Paradiesvogel dem Königslob unter dem Motto: „SEMPER SVBLIMIS“.

Der Flug des Paradiesvogels drückte „die Hochheit und Vortrefflichkeit seiner Majestät/ Königlichen Seele (aus) / welche immerdar mit hohen Dingen beschäfftiget / sich nichts/ als was hoch und herrlich / vornimmt …“, so der deutsche Kommentar aus dem Jahr 1710 zu diesem Sinnbild.

Was einem französischen König als angemessen galt, konnte einem Reichsgrafen von Schönburg nur zum Vorbild dienen.

In der Broschüre „Denkmale in Mittelsachsen“, welche hier in der Kirche erhältlich ist, sind die weiteren Embleme der St. Ottokirche ebenfalls erläutert und gedeutet.

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